Freitag, 16. April 2010

Gedanken über "Wissen" im Internet

Wissen ist kostbar. Das weiß jedes Kind. „Lern brav!“ heißt es, „Damit später was aus dir wird!“

Die Weitergabe von Wissen und Erfahrungswerten an die nachfolgende Generation bildet einen grundlegenden Baustein unserer Kultur. Die Entwicklung der Menschheit gründet auf dem Wissen unserer Vorfahren, auf dem Lernen aus Fehlern der Vergangenheit und der Weiterentwicklung bereits bestehender Tatbestände. 

Um die Überlieferung gesammelten Wissens zu gewährleisten, bedarf es der Speicherung auf bestimmten Trägern. Im Wandel der Zeit variierten diese Träger von menschlichen Gedächtnissen über Tontafeln und Palmblättern hin zu Papyrusrollen, Wachstafeln, Bronze, Eisen, Silber, Gold, Zinn und auch Holz, Bambus, Seide und Pergament.[1]

Mit der Ausbreitung der Schriftlichkeit über den gesamten Globus etablierte sich das Papier als billigeres Speichermedium gegenüber dem teureren Pergament, bis es sich schließlich durch die Erfindung des Buchdrucks als ultimatives Speichermedium manifestierte. Seit etwa viertausend Jahren sind lineare Texte jene Vermittlungstechnik von Informationen, die bis heute die gesamte Kultur prägt und die eine linear gerichtete Geschichtsbewusstseinsentwicklung mit sich brachte.

Doch mit der Erfindung des Hypertexts wird eine neue Ära eingeläutet. Es bedeutet das Ende der Gutenberg-Galaxis und des Speichermediums Papier und den Beginn des Zeitalters der Digitalisierung. Disketten, CD-Roms, DVDs, USB-Sticks und Festplatten speichern nun unsere digitalen Informationen ab und werden durch das Internet omnipräsent und abrufbar. Jederzeit kann auf das virtuell gespeicherte Wissen zugegriffen, Neues hinzugefügt und Inhalte abgerufen werden.  Um an Informationen zu gelangen wird selten noch ein Lexikon oder Fachbuch aufgeschlagen, sondern schnell und bequem im Internet - meist auf Wikipedia - gesucht. 

Doch aufgrund der vollkommen demokratischen Struktur der Autorenschaft und der unmöglichen Kontrolle aller Inhalte auf Wikipedia, kann die Qualität und die Zuverlässigkeit der veröffentlichten Informationen nicht gewährleistet sein. Problematisch ist dabei auch, dass das präsentierte Halbwissen durch Wikipedia legitimiert wird. Der Fall, dass auf Wikipediaseiten falsche Informationen auftauchen können, ist bereits aus mehreren Medienberichten bekannt und dokumentiert. Gründe dieser Inkompetenz sind teilweise auf schlampige Recherchen der Autoren, auf Vandalismus, aber zweifellos auch auf die Struktur des Hypertextes zurückzuführen. Die qualitative Wissensselektion liegt beim Schreiben eines Buches in der Verantwortung des Autors bzw. auch des Herausgebers, während im Internet keine Filter für qualitative Informationen existieren, die für Seriosität und Sicherheit sorgen. Um dem Dauerproblem von „junk information“ Herr zu werden, müssten Werkzeuge zur Filterung und Aussonderung irrelevanter Daten entwickelt werden. Doch wer entscheidet nun über wichtige und unwichtige Information? Wer filtert all diese Daten zur Brauchbarkeit????[2]

Durch die dezentrale Vernetzungsstruktur der Hypermedien sind Zensurmaßnahmen leicht zu umgehen. Einfach jeder hat auf Wikipedia die Möglichkeit Wissen zu weiterzugeben und zwar ohne über seine Person Auskunft geben, oder über Referenz oder eine Autorisierung verfügen zu müssen. Die Qualifikation der Autoren von Wikipedia spielt keine Rolle und stellt somit kein wertvolles Kriterium für die Betreiber der Wikimedia Foundation Inc. dar. Zwar ist das Datum der letzten Änderung der auf Wikipedia gestellten Texte nachlesbar, doch die Urheberschaft ist für User weder nachvollziehbar, noch sind Zitate oder Quelltexte regelmäßig ausgewiesen. Hier taucht Platons Problem der Schriftkritik auf, da die Wege der Generierung von Wissen sich der „Korrekturmöglichkeit“ entziehen und ein Verlust der Verstehens- und Anwendungskontrolle entsteht.

Auch das Prinzip der Wissensaneignung und Memorierung scheint zu zerfallen, da alles Wissen der Welt so schnell abrufbar ist, dass das Lernen und Erinnern von Fakten überflüssig wird. Hier trifft Platons Schriftkritik ebenfalls zu, die besagt, dass der Mensch im Vertrauen auf das neue Speichermedium Schrift – in unserem Fall der Hypertext - sein Gedächtnis vernachlässigt und Vergessenheit über ihn kommt.

Das Internet führt uns in ein Zeitalter des globalen Halbwissens, in dem der Kauf materieller Wissensträger nicht mehr nötig ist, da alles Wissenswerte jederzeit „downloadbar“ und omnipräsent ist. Führt uns dieses allgegenwärtige Wissen und die Möglichkeit der rasend schnellen Recherche weg von Wissen als Memorierungsphänomen hin zu bloßem Informationsbeschaffungswissen?  




[1] Brockhaus, Enzyklopädie in 20 Bänden (Bd. 2), Wiesbaden 1967, Seite 376

[2] Bolz, Norbert, Am Ende der Gutenberg-Galaxis. Die neuen Kommunikationsverhältnise, München 1993, Seite 220

3 Kommentare:

  1. Den Begriff des 'Halbwissens' den kann man für die Bildungsinstitute anwenden, wo ein bisschen was Vermittelt wird - aber um Gottes willen ja nicht alles.
    Das Internet ist das Gegenteil davon! Alles ist vorhanden -nichts wird verborgen! Jeder kann sich (noch) ohne Zensur informieren. Natürlich muss jede Information aus dem Netz geprüft werden, ob sie stimmen kann!
    Das ist Forschung und Lernen pur!
    Den Anhänger der monopolisierten Halbbildung ist das natürlich ein Dorn im Auge - und so beginnen sie, die Mär von der Internethalbbildung auszustreuen und setzen ihre eigen zensurierten Schulbücher und Lexikas als Gegenpol ins Licht. Verkehrte Welt!
    Zur Aufklärung sollte man einmal Robert B. Loughlin: Das Verbrechen der Vernunft lesen.
    Also: Für Bildung -> für ein freies Internet!
    Gegen Halbbildung -> gegen zensurierte Bildungsinstitute!

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  2. Ich sehe das so, dass reines Faktenwissen, also das, was zumindest in meiner Generation hauptsächlich in der Schule und tw. auch noch an der Uni vermittelt wurde, nicht so rasend wichtig ist, weil es auch früher, also zumindest in den letzten 200 Jahren, bei Bedarf nachgeschlagen werden konnte. Allerdings war der vielzitierte "Zugang zur Information" elitär: einerseits materiell bestimmt (wer sich den 20-bändigen Brockhaus fürs Wohnzimmer leisten konnte, war schneller und einfacher bei der Information), andererseits durch die Ausbildung bestimmt, weil es gar nicht so einfach ist, zu wissen, wo ich was nachlesen kann (Informationsbeschaffungswissen).

    Das Internet hat hier den Zugang zur Information in beiderlei Hinsicht vereinfacht oder, wenn man so will, demokratisiert: Ich brauche den Brockhaus im Wohnzimmer nicht mehr unbedingt und Google findet für mich die gesuchte Information. Allerdings ist dabei ein anderes Problem stärker in den Vordergrund getreten: nämlich die Bedeutung der Medienkompetenz. Dazu zählt nicht nicht, dass ich weiß, wie ich mit dem Internet (va. natürlich dem WWW) umgehen muss, sondern auch eine Strategie im Umgang mit der Information (wie funktioniert eine Suchmaschine, warum schlägt mit Amazon seltsame Bücher vor) und ein Gefühl für den Wert (Objektivität, Reliabilität, Relevanz) der gefundenen Information.

    Aber du hast schon recht. Es hat ca. 15 Jahr gedauert, bis so viel Information online verfügbar war, dass die breite Öffentlichkeit damit auseinandersetzen musste. Und wir leben in einer Zeit des wissenssoziologischen Umbruchs. Besonders spannend sind dabei 2 Aspekte: einerseits der technische: Wie können uns Maschinen bei der Nutzung der enormen Datenmenge zu helfen? Da geschehen sehr spannende Dinge und Google ist das prominenteste Beispiel dafür. Andererseits scheint das auch ein sozialen Problem zu sein, bzw. es könnten soziale Regelmechanismen bei der Lösung helfen.

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  3. Natürlich will ich das Internet und seine Möglichkeiten auf keinen Fall verdammen! Der Wissenszugang ist viel demokratischer geworden, da stimme ich zu. Doch wer heut zu Tage am puls der Zeit bleiben will muss über Medienkompetenz verfügen, aber auch über die Möglichkeit des Zugangs zu Hard- und Software!
    Das heißt, dass sich erneut eine bestimmte Form der Elite bildet, nämlich jene, die die neuen Medien nutzen kann und Zugang zu ihnen hat. Sicher kann sich in unserem Land jeder um 2€ in ein Internetcafe setzen und los surfen, doch was ist mit den Menschen, die dazu keine Möglichkeit haben bzw. nicht über die Medienkompetenz verfügen?
    Hop oder drop! Eine SekretärIn die keine Mails verschicken kann hat in der Berufswelt wenig Chancen.
    Jetzt denkt sich jeder: Das sind Ängste und Gedanken von vorgestern! Wer bitte kennt sich denn heut zu Tage noch nicht mit Computern und Internet aus??? MEINE SCHULFREUNDIN!!!

    25 Jahre jung, Kindergärtnerin und Sonderpädagogin, arbeitet in Graz.
    Erfolgreich hat sie es bis jetzt geschafft, den neuen Medien aus dem Weg zu gehen. Das einzige was sie beherrscht: im Word ihre Vorbereitungen abtippen. Wenn sie tatsächlich einmal im Internet etwas sucht oder jemanden Informationen über die Länge einer SMS hinaus schicken muss, dann muss ihr Freund (Softwareentwickler- haha) das erledigen. Ihr Entschluss steht fest: "Computer und das alles sind nix für mich." Leider kann ich euch nicht erzählen wie es ihr heute geht, da der Kontakt abgebrochen ist... vielleicht ist ihr das mit dem Handy auch schon zu viel geworden?

    Da erwische ich mich beim Schmunzeln! Wo ich doch gerade die Problematik des nicht informiert Seins erörtert habe. ZZZ
    Global gesehen ist das angeschlossen oder nicht angeschlossen Sein an das weltweite "Zentralnervensystem" (McLuhan nennt so das elektrische Netz/Internet) von gravierender Bedeutung!
    Wer heut zu Tage nicht mit Internet und co umgehen kann, ist zwangsläufig auf Hilfe angewiesen und wird es schwer haben!

    Ganz kurz:
    Bei der medialen Umstellung fand ich es spannend zu beobachten, dass sich das "Lehrer-Schüler Verhältnis" nahezu umgedreht hat. Während früher die Erwachsenen die Lehrenden waren, ist nun die junge Generation ihren Eltern gegenüber viel besser informiert.
    Der 16-jährige Sohn erklärt seinem Vater wie das Handy funktioniert...
    Jedes neue Medium bringt tiefgreifende Veränderungen mit sich und hat gravierende Auswirkungen auf unser soziales und kulturelles Leben.

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